Think Growth! Es beginnt alles in deinem Kopf
Vor einigen Wochen gab ich einen Growth Hacking Workshop für einige Studenten der Naturwissenschaften, die neben dem Studium ein Startup gegründet haben und nun von einem Inkubator-Programm gefördert wurden.
Wir sprachen über Retargeting. Falls dir der Begriff nichts sagt: Retargeting ist die Möglichkeit ein Cookie in den Browser deiner Website-Besucher zu hinterlassen und sie durch Banner an ihren Besuch zu erinnern. Besonders praktisch bei Besuchern, die nach einem Produkt gestöbert, es aber nicht gekauft haben.
Große Augen starrten mich an - den Teilnehmern war gerade klar geworden, warum sie von all diesen Bannern verfolgt werden.
Eine Teilnehmerin hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund.
“Ich könnte das nicht.”
“Was?”
“Mich so zu… verkaufen.”
“Du verkaufst nicht dich. Sondern dein Produkt.”
“Aber ich will das nicht.”
“Das ist nichts Schlimmes. Das ist Retargeting. Werbung.”
“Aber das fühlt sich trotzdem komisch an.”
Man sah ihr die moralische Zwickmühle an.
“Ok”, sagte ich. “Aber wenn du niemanden von deinem Unternehmen erzählst, wirst du keinen Erfolg haben. Dann kann dein Produkt noch so gut sein. Niemand außerhalb deines Bekanntenkreises wird davon erfahren. Und dann hast du kein Unternehmen, sondern ein Hobby. Was vollkommen in Ordnung ist - aber nicht der Sinn und Zweck, warum wir hier sind. Denn hier geht es um Wachstum.”
Diese Unterhaltung war neu für mich. Normalerweise spreche ich mit Gründern und Marketern, die nach Wachstum geradezu hecheln. Die begierig sind auf neue Strategien, Prozesse und Hacks um mehr und schneller wachsen zu können. Die man davon abhalten muss, zu viel auf einmal machen zu wollen, da sie sonst in einen unsinnigen Aktionismus verfallen würden.
Es muss nicht immer gleich die Weltherrschaft sein
Aber hier hatte ich jemanden vor mir, für den Wachstum kein Muss, sondern eine Option ist. Daran ist überhaupt nichts Verwerfliches. Im Gegenteil: es zeugt von Rückgrat und Überzeugung wenn man weiß, was man NICHT will. Ebenso wie wenn jemand leidenschaftlich für die Erfüllung seiner ambitionierten Ziele kämpft. Es ist eine Frage der Mentalität oder auf Neudeutsch des Mindsets.
Nehmen wir beispielsweise den von mir sehr geschätzten Blogger und Coach Paul Jarvis, der im Januar 2019 ein Buch mit dem vielsagenden Titel “Company of one: why staying small is the next big thing for business” veröffentlichen wird.
Er hat ein stabiles Einkommen durch den Verkauf seiner Onlinekurse und lebt einen vergleichsweise minimalistischen Lebensstil irgendwo in Westkanada. Er sträubt sich mit Haut und Haar gegen wirtschaftlichen Wachstum, weil er zufrieden mit dem Status Quo ist. Auch ohne Selfies von den Malediven. Oder Videos in einem Lamborghini.
Tatsächlich gibt es nicht wenige Ratgeber, die einen minimalistischen Lebensstil als ein sehr erstrebenswertes Ideal darstellen. Denn je weniger man besitzt, desto weniger Ablenkung hat man im Leben.
Warum?
Wenn ich keine Playstation habe, muss ich mir nicht den Kopf zerbrechen, wie ich genügend Zeit einräume um Red Dead Redemption 2 zu spielen.
Wenn ich nicht alle zehn Minuten ein Live-Video poste, muss ich mich nicht über Trolle und Hater ärgern - und kann mich stattdessen auf die Qualität meines Produkts fokussieren.
Cal Newport schreibt in seinem Bestseller “Deep Work”, dass lange Phasen des konzentrierten und ungestörten Arbeitens Gold wert. Denn nur durch absoluten Fokus kann etwas wirklich “Wahres” von hoher Qualität entstehen.
Aber hier ist die Krux:
Wachstum liegt in der Natur der Menschen
Und zwar im wortwörtlichen Sinne, denn wir vermehren uns - auch wenn wir nicht mehr genügend Platz und Ressourcen für uns alle auf diesem Planeten haben.
Wir wachsen geistig, indem wir uns ständig neue Herausforderungen suchen. Jede wissenschaftlich relevante Erkenntnis wirft nur noch mehr Fragen auf.
Wir wachsen physisch und jagen immer neuen Rekorden hinterher.
Usain Bolt war nicht damit zufrieden, die 100 Meter ziemlich schnell zu laufen. Er wollte der schnellste Mann der Welt sein.
Michael Jordan ist nicht bekannt dafür geworden, einen Ball meistens durch einen Korb werfen zu können.
Und wir bewundern Maryl Streep nicht dafür weil sie ganz ordentlich schauspielern kann, sondern weil sie 21mal für den Oscar nominiert war (und dreimal gewonnen hat).
Auch wirtschaftlich sind wir aktuell auf Wachstum angewiesen, denn Kapitalismus (und sei die Marktwirtschaft auch noch so sozial) funktioniert nicht ohne Wachstum. Wer sein Geld nicht vermehrt, sondern es unter der Matratze liegen lässt, der verliert sein Vermögen Cent für Cent. Denn die Staaten drucken immer mehr Geldnoten, was zu eine Wertminderung führt. Also doof.
Bis auf wenige Ausnahmen haben sich alle Länder dieser Welt einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung verschrieben. Und sogar das “kommunistische” China ist davon abhängig, dass die Wirtschaft beständig wächst - nicht zu sehr, aber vor Allem nicht zu wenig.
Ist man also wirtschaftlich aktiv, sollte man Wachstum nicht verfluchen oder sich davor erschrecken. It’s part of the game!
Denn selbst wenn die eigenen Ziele bescheiden sind und man nur ein kleines Unternehmen mit stabilem Umsatz etablieren möchte, muss man doch immerhin zu diesem Status wachsen.
Growth nur ein weiteres Buzzword?
“Growth” ist ein aktuelles Modewort für Wachstum. Ebenso wie “Hustle”, “Grind” oder auch “hacken”. Viele junge Unternehmer nutzen es gerne, um ihre ihre Strebsamkeit trotz etwaiger Widrigkeiten zu veranschaulichen. Man macht sich die Hände schmutzig, man nutzt jede Chance und man verlässt auch gerne die etablierten Pfade, um den Wachstum des eigenen Unternehmens anzukurbeln.
Und auch das Thema meines Buches und Online-Kurses “Growth Hacking” ist moralisch nicht verwerflich, denn Kreativität und Mut entspricht ebenso dem menschlichen Ideal - solange sich dieses Streben nicht gegen oder zu Lasten der Mitmenschen richtet.
Schnelles Wachstum ist nicht ohne Risiko
Auch sollte man “Wachstum um des Wachstum willen” (das Leitmotiv von Krebs) vermeiden und nicht jedem Kunden hinterher jagen wie ein streunender Hund. Nicht etwa, weil man in Gefahr läuft zu scheitern - sondern weil die Kapazitäten oftmals gar nicht ausreichen. Als Coach ist deine Zeit begrenzt und weil du dich nicht klonen kannst, ist die maximale Anzahl deiner Kunden limitiert.
Aber auch wenn du bspw. Produkte verkaufst, musst du die Lager- und Versandkapazitäten entsprechend der Nachfrage anpassen.
Selbst beim Verkauf eines digitalen Produktes wie bspw. einer App kannst du nicht unbegrenzt wachsen, ohne die Kapazitäten deiner Server und das Personal der IT-Sicherheit oder des Customer Support anpassen. Diese leidvolle Erfahrung mussten einige Startups machen, die durch einen Auftritt in der TV-Show “Die Höhle der Löwen” sehr schnell sehr viel Aufmerksamkeit erlangt haben.
Aber Growth ist nicht nur Wachstum im qualitativen Sinne - es steht auch für Entwicklung, für qualitatives Wachstum. Und dieser Wachstum sollte von jedem angestrebt werden.
Nicht mehr Kunden, sondern höherpreisige und zufriedenere Kunden. Nicht Wachstum um jeden Preis. Das Leitmotiv und Titel von Grant Cadones Bestseller “The 10X Rule” ist mit Vorsicht zu genießen. Insbesondere hier in Europa, wo die meisten von uns ein anderes Verständnis von “gesundem Wachstum” und menschlicher Marktwirtschaft haben.
Bitte nachmachen: Das Growth Mindset
Carol S. Dweck ist Professor für Psychologie an der Stanford University. In Ihrem Bestseller “Mindset - Changing The Way You think To Fulfil Your Potential” beschreibt sie zwei unterschiedliche Mentalitäten: das “Fixed Mindset” sowie (wer hätte es erraten) das “Growth Mindset”.
Im Kern geht es darum, das Menschen mit dem Fixed Mindset glauben, dass Dinge “in Stein gemeißelt” wären. Entweder ist man gut im Sport oder nicht. Entweder ist man schlau oder nicht. Entweder ist man eine gute Führungspersönlichkeit oder nicht. Alles Begabung, Talent und Veranlagung. Problematisch wird es dann, wenn Menschen mit diesem Mindset den Erwartungen nicht mehr entsprechen können - seien es die Erwartungen anderer oder der eigenen. Denn wenn man trotz hoher Begabung scheitert, ist man in einer Sackgasse.
Für die Menschen mit einem Growth Mindset - um die Worte von T.E. Lawrence aka Lawrence von Arabien zu verwenden - steht nichts geschrieben: Sie glauben daran, dass sie sich jederzeit verändern können, dass sie wachsen können. Egal wie gut oder schlecht sie in einer Sache sind: durch Lernen und harte Arbeit können sie jeden Tag ein bisschen besser werden. Ihr einziger Gegner ist das gestrige ich - und solange man dieses gestrige ich überwinden kann, gewinnt man.
In vielen Studien hat Dr. Dweck bewiesen, dass es nicht nur Menschen mit dem einen oder dem anderen Mindset gibt, sondern dass wir immer wieder zwischen den beiden Mentalitäten wechseln - je nach Situation.
Vielleicht haben wir ein Growth Mindset in Sachen Unternehmertum und zeichnen uns als herausragende Führungspersönlichkeiten aus, die der persönlichen Entwicklung ihrer Mitarbeiter oberste Priorität einräumen. Aber sobald es um die Kindererziehung geht, verfallen wir in das Fixed Mindset und loben die guten Noten unserer Kinder, statt des Lernprozesses.
Möchtest du also wirtschaftlich erfolgreich sein - und nur du definierst, was “Erfolg” ausmacht - dann sei dir ein “Growth Mindset” empfohlen. Denn nur damit wirst du langfristig Erfolg haben. Du wirst dich, dein Unternehmen und deine Mitarbeiter weiterentwickeln. Du wirst neue Erfahrungen suchen, dich in unbekanntes Terrain bewegen, du wirst Fehler machen - aber trotzdem ist es die bessere Alternative zum “Fixed Mindset”, denn Wachstum und Weiterentwicklung entsprechen unserem menschlichen Naturell und bringen dich als Individuum und uns als Gesellschaft weiter.
Zusammenfassung
Wachstum nur um des Wachstum willen sollte nicht dein Leitmotiv sein - schon gar nicht exponentiell. Akzeptiere und genieße die Lernkurve, die du gerade zu Beginn haben wirst. Und strebe danach, jeden Tag ein ganz klein wenig besser zu sein als gestern. Dann stehen die Chancen sehr gut, dass du langfristig Erfolg haben wirst.
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Gemeinsam mit einigen der besten Experten und Autoren Deutschlands habe ich ein Buch mit dem passenden Titel “Think Growth” geschrieben, dass im Sommer 2019 veröffentlicht wird. Mehr Infos