Tomas Herzberger

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Lohnt sich die DMEXCO noch?

Kennt ihr jemanden, der gerne auf die DMEXCO geht? Sich die beiden Tage im September mit einem großen Smiley in den Kalender eingetragen und schon zehn Monate im Voraus ein Hotelzimmer gebucht hat?

Ich nicht.

Mit der Online-Marketing Messe DMEXCO in Köln verbindet mich (und viele meiner Mitstreiter) eine Hass-Liebe: jedes Jahr im September fahren wir nach Köln, geben 2 Tage fürchterlich Gas (in jedweder Hinsicht) und fahren mit dem festen Vorsatz nach Hause, nächstes Jahr nicht wieder zu kommen. Das mache ich seit 10 Jahren jedes Jahr. Dieses Mal mache ich meinen Vorsatz wahr und gehe nicht.

Wann ist eine Messe eine gute Messe?

Klar, wir Deutschen meckern gerne und oft. Gerade bei Dingen, die wir mögen wie dem heimischen Fußballclub, unseren Autos oder den lokalen Baumaßnahmen wie der beschissen und überflüssigen Baustelle auf der Eschersheimer Landstraße!

Ich schweife ab… bleiben wir beim Thema Messen. Wenn du als Besucher oder Aussteller jedes Jahr auf eine Messe gehst, baust du unweigerlich eine emotionale Beziehung zu dem Event auf. Du bist nicht länger unbeteiligter Beobachter, du nimmst Veränderungen wahr, du bildest dir eine Meinung darüber, was man alles besser machen könnte. Wolfram Kons als Moderater? Echt jetzt - schon wieder? Aber insgeheim bist du aber dankbar dafür, dass es diese Konstante in deinem hektischen Alltag gibt, dass du dich nicht um die Organisation einer solchen Veranstaltung kümmern musst und dass du einmal im Jahr die Gelegenheit hast, Partner, Kunden und alte Freunde wieder zu sehen. Also warum meckern wir jedes Jahr über die DMEXCO?

OK, über 4 Gründe gute Gründe gegen die DMEXCO habe ich bereits geschrieben. Aber das sind größtenteils subjektive Maßnahmen. Es fehlt ein objektiver Maßstab dafür, was eine gute Messe - und wenn wir gerade schon dabei sind - eine gute Konferenz ausmacht.

Als ich den Aufbau der Digital Business Unit bei der Messe Frankfurt unterstützen durfte, haben wir die Aussteller gefragt, welche Ziele sie mit ihrem Auftritt verfolgen. Anzahl der Leads? Besucher auf dem Stand? Mitnichten.

  • “Wir kommen doch jedes Jahr her - unsere Kunden erwarten das von uns!”

  • “Unser größter Wettbewerber ist hier - da können wir nicht daheim bleiben.”

  • “Gewohnheit.”

Diese Antworten waren nur wenig hilfreich und sind vielleicht auch nur bedingt auf die Aussteller der DMEXCO zutreffend, denen ich gerne eine Fokussierung auf handfeste KPIs zutraue. Zumindest einigen. Aber größtenteils wird das Bauchgefühl die Bewertung eines Events entscheidend sein. Das sagt Christian Wilkens, Digitalchef der GroupM, die dieses Jahr überraschend nicht mehr mit einem Stand in Köln vertreten sein werden.

Was suchen Besucher und Aussteller auf einer Messe? TIEFE.

Tiefe in den Gesprächen mit potentiellen Kunden, Tiefe in den Argumenten der Speaker auf Panels, Tiefe in den Vorträgen über neue Aspekte und Trends im Markt.

Alles andere ist austauschbar: die Werbegeschenke, die Parties, die Keynote-Speaker, die Bands und DJs, die Parkplatzsituation: alles gut und wichtig, aber nicht entscheidend für den gefühlten Erfolg einer Messe. Das sind hygienische Faktoren, die passen müssen, aber keinen Wettbewerbsvorteil bieten.

Der Zweck einer Messe und Konferenz ist es, Menschen einen Ort zu geben, um sich auszutauschen. Je lauter die Musik, desto schwieriger der Austausch.

Jeder Mensch, mit dem ich spreche - egal ob Aussteller oder Besucher - , kommt letzten Endes auf dieses eine Kriterium zurück: was hat mir die Messe gebracht? Was habe ich Neues gelernt? Welche Menschen habe ich kennen gelernt? Welche neuen Kunden oder Partner habe ich gewonnen? Es geht keineswegs darum, wie lecker der Cocktail auf der Party war oder wie toll das bargeldlose Bezahlsystem.

Das bringt uns meiner bescheidene Meinung nach dazu, warum die Kritik an der DMEXCO jedes Jahr wächst. Es ist nicht die Tatsache, dass die Messe nicht mehr kostenlos ist - es geht darum, was die Menschen für ihr Geld bekommen. Und in den letzten Jahren ist es hauptsächlich eines: Werbung. Die Stände werden größer, bunter lauter. Die Vorträge sind kaum mehr als eine Präsentation der vermeintlichen Produktvorteile, eine Vermittlung von echten Learnings anhand realer Beispiele findet kaum noch statt. Auf ihrem Weg zu mehr Größe und Bedeutung scheint die DMEXCO ihr eigenes Opfer geworden zu sein und ich würde ihr dringend einen Pivot empfehlen. Nicht größer, sondern besser. Nicht mehr Kunden und Aussteller, sondern die richtigen. Nicht mehr Traffic, sondern höhere Activation um mal zwei Growth Hacking Termini einstreuen

Ich glaube, dass wird auch für den neuen Hengst im Stall, die Online Marketing Rockstars in Hamburg, schnell zum Problem werden. Denn wie der Name schon sagt, ist die Show hier Teil des Programms. Tiefe sucht man hier ebenfalls vergeblich. Aber warum wird die OMR nicht verrissen? Weil sie nie etwas anderes war als Show und nie etwas anderes sein sollte. Wenn eine Messe bzw. Konferenz “Rockstars” im Namen trägt, wirst du dich nicht beschweren, wenn sich die Experten dort nicht die Köpfe über die Vor- und Nachteile von Chatbos einschlagen.

Für mich bedeutet das: Online Marketing Messen sind tot. Aber Konferenzen sind der geile Scheiß.

Ich schreibe diese Zeilen im September 2017. Gerade habe ich den Online Marketing Tag in Wiesbaden und den growthSummit in Frankfurt hinter und die Bits & Pretzels vor mir. Beides Konferenzen, keine Messen. Und bei beiden war der Mehrwehrt, die informative Tiefe, deutlich größer als es bei einer Messe je war. Die Speaker gaben ihr operatives und strategisches Wissen weiter - (fast) ohne Marketing-BlaBla. Du hast Fragen? Dann stelle deine Fragen entweder direkt im Plenum oder anschließend an der Bar bei einem Kaffee. Du willst neue Leute, potentielle Kunden und Partner kennen lernen? Geht beim gemeinsamen Mittagessen viel besser als auf einem lauten Messeflur. Du rennst nicht ständig durch riesige Messehallen durch verschwitzte Menschenmassen, sondern sitzt entspannt auf einem gemütlichen Stuhl, lauschst den Speakern und machst dir in Ruhe Notizen.

Nachteil: eine Konferenz ist natürlich kleiner, es werden nicht alle deine Wunschkunden und -Partner da sein und du kannst im Vorfeld schlechter Gesprächstermine vereinbaren. Aber was ist dir lieber: zwanzig zehnminütiges Bussi-Bussi-Handshake Gespräch in einer lauten Halle, bei dem sowohl Besucher als auch Aussteller sich kaum auf den Gegenüber konzentrieren können oder fünf mal ein ruhiger, konzentrierter Austausch in entspannter Atmosphäre?

Deswegen werde ich mich in Zukunft auf Konferenzen konzentrieren und Messen wie die DMEXCO meiden. Was die OMR angeht, bin ich noch unentschlossen - aber ich glaube, das ist primär die “Fear of Missing out” (FOMO), wenn man nicht hingeht. Lieber klein und fein statt groß und laut.

Was meinst du? Gehst du auf große Messen wie die Internetworld oder DMEXCO? Was ist der beste Mix aus Weiterbildung und Networking?