Tomas Herzberger

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Über Arminius und historische "Fakten"

Man weiß nicht viel über diesen Mann, der die Geschichte Deutschlands wie wohl nur wenige beeinflusst hat – obwohl es damals noch gar kein Deutschland gab. Man kennt nicht einmal seinen richtigen Namen, „Arminius“ ist der römisch-lateinische Name. Dabei handelt es sich wohl um den sog. „Cognomen“, der bei den Römern quasi der Rufname war. Vornamen gab es nur in überschaubarer Anzahl (z. B. Marcus, Gaius, Lucius) und war auch in Kombination mit dem Familiennamen in den großen patrizischen Familien nicht aussagekräftig. Es gibt Theorien, nachdem sich der Name „Arminius“ von einem etruskischen Rittergeschlecht ableiten würde, oder sogar auf „Armenien“ beziehen könnte. Nichts davon ist bewiesen. Ich nenne ihn Armin, was so viel bedeutet wie „Der Starke, gewaltig wie ein Aar“. Schien mir passend.

Warum weiß man so wenig über diesen Mann?

Die Germanen hatten keinerlei schriftliche Aufzeichnungen (zumindest keine, die wir kennen), sie gaben ihre Sagen und Geschichten mündlich weiter. Und für die Römer wurde Arminius erst interessant, nachdem er Varus besiegt hatte und zum Staatsfeind Nummer Eins gemacht wurde. Die historisch bewiesenen Informationen sind also Recht überschaubar. Zumal „historisch bewiesen“ ebenfalls ein schwammiger Begriff ist. Bewiesen ist nämlich gar nichts. Das meiste, was wir über die Geschehnisse vor zweitausend Jahren wissen, basiert auf den Aufzeichnungen von zwei Männern. Einer davon hat noch nicht einmal gelebt, als die Varusschlacht stattfand. Diese beiden Männer sind Publius Cornelius Tacitus und Velleius Paterculus. Beide gelten zwar als Historiker, aber insbesondere Paterculus war zwar Zeitzeuge, aber durch seine Freundschaft zum Feldherrn Tiberius alles andere als objektiv. Auch Tacitus hatte seine persönliche Agenda. Wenn also jemand behauptet, dieses oder jenes wäre historisch nicht bewiesen, dann mag das sein. Es ist allerdings auch nicht ausgeschlossen. Vielleicht findet man in Zukunft noch weitere, wesentlich detailliertere römisch Schriftstücke oder archäologische Funde. Bis es aber soweit ist, erlaube ich mir eine künstlerische Freiheit im Umgang mit den geschichtlichen „Fakten“ dieser Zeit. Ich gebe zu Bedenken, wie viele Mythen sich um das Deutsche Reich unter Hitler oder sogar um die Anschläge vom 11. September 2001 ranken – und diese Ereignisse waren geschichtlich gesehen erst gerade eben. Wir sprechen hier von einer Schlacht, die vor über zweitausend Jahren stattfand! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Diesen beiden Quellen folgend, weiß man so viel: Arminius war der Sohn eines Anführers der Cherusker, nämlich des Segimer (oder auch Sigimir). Anführer eines Stammes wurden vermutlich nur Mitglieder von „adeligen“ Familien, deren Stammbaum lange zurückreicht. Idealerweise bis zu den Göttern. Nur Mitglieder dieser Familien folgen die Germanen in die Schlacht, da sie von den Göttern auserwählt waren. Irgendwann verdiente sich Arminius in der römischen Armee. Vermutlich in einer cheruskischen Hilfseinheit, wie es in der römischen Armee üblich war. Und Arminius wusste wohl, was er tat. Denn er wurde zu einem römischen Bürger und Ritter ernannt. Von letzteren gab es lediglich zwanzigtausend im gesamten Reich. Das ist also eine Auszeichnung, die man nicht gerade hinterhergeschmissen bekommt. Irgendwas musste Arminius also richtig gemacht haben. Ob er in Rom ausgebildet worden ist und in den Pannonischen Kriegen gekämpft hat wie in meinem Buch beschrieben, ist nicht belegt. Er könnte auch in seiner Heimat geblieben sein. Vielleicht hat er seine Ausbildung in Xanten genossen und sich seine Sporen bei den Rangeleien mit anderen germanischen Stämmen verdient. Gut möglich, aber man weiß es nicht.

Ich habe mich dazu entschieden ihn nach Rom gehen zu lassen, um den Kontrast zwischen dem vermeintlich „barbarischen“ und naturverbundenen Leben der Cherusker und dem der „zivilisierten“ Römer zu zeigen – und um die Faszination zu verdeutlichen, welche von dieser Stadt, ihrer Kultur und ihrer Armee ausging. Bei der römischen Armee zu dienen, muss ähnlich erstrebenswert gewesen sein wie heute für Google oder Amazon zu arbeiten: moralisch fragwürdig, aber man kämpft mit den Besten seiner Zeit und hat die Gelegenheit, seinen Teil zur Geschichtsschreibung beizutragen.

Was weiß man noch?

Das Arminius die germanischen Stämme bzw. Hilfseinheiten in der Varusschlacht anführte und das wohl recht erfolgreich. Ob die Schlacht wirklich so stattfand, wie von Tacitus (und mir) beschrieben, ob Arminius Varus tatsächlich verraten hat oder nicht, sei dahingestellt weil eigentlich unwichtig. Das Resultat war entscheidend: drei Legionen der römischen Armee wurden vollkommen vernichtet. Zweifelsohne nicht die erste oder letzte Niederlage der Römer, aber vermutlich erwischte keine Niederlage die stolze Armee dermaßen unerwartet.

Nach der Varusschlacht verschwindet Arminius erneut im Nebel der Geschichte. Nur Tacitus berichtet von seiner Teilnahme an den Schlachten bei Idistaviso und vom Angrivarierwall, ebenso wie Arminius Kampf gegen Marbod und dem Verrat seines Onkels Ingomar. Auch Arminius Tod durch Verwandte ist einzig in Tacitus‘ Annalen niedergeschrieben.

Die Quellenlage zu diesem Mann ist also sehr, sehr dünn. Für mich diente sie als Gerüst meiner Geschichte. Ich habe nicht den Anspruch gehabt, einen historisch einwandfrei korrekten Roman zu schreiben – nur um darauf zu warten, dass neue Forschungsergebnisse in fünf Jahren meine ach so „akurate“ Geschichte in Stücke reißen. Ich habe stattdessen den Anspruch gehabt, eine spannende, unterhaltsame Geschichte zu erzählen, die von historischen Ereignissen inspiriert ist. Ob mir das gelungen ist, darf der Leser entscheiden.

Über die Herkunft, Lebensweg und Motivation von Arminius wird in der Wissenschaft seit Jahrzehnten leidenschaftlich gestritten. Vielleicht war Arminius nur ein rebellischer Anführer einer germanischen Hilfseinheit. Vielleicht war er aber wirklich der Mann, der ein Heer aus vielen germanischen Stämmen in die Schlacht führte und mit List und Geschick siegreich war. Denn die Germanen – und das ist Fakt – sind das einzige Volk in Europa gewesen, die sich den Römern nie gebeugt haben und nie vollständig besiegt worden sind. Davon zeugt der Limes, den die Römer als Schutzwall an der Grenze ihres Reiches errichteten.